Regula Stämpfli zum Rechtsfall Julian Assange:
«Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils»
Das Gutachten des UN-Menschenrechtsrates für
die Freilassung von Julian Assange wurde in den
Medien zerpflückt und lächerlich gemacht. Anlass
für Medienexpertin Dr. Regula Stämpfli im Klein
Report über den Filz zwischen Medien und
Justizbehörden nachzudenken.
Sogar «The Guardian», normalerweise ein
Wikileaks-Verbündeter, verurteilte den UN-
Menschenrechtsrat als «akademisches Grüppchen
ohne juristisches Wissen». Liora Lazarus, die eine
Assistenzprofessur für Recht an der Universität
Oxford innehält, widersprach im britischen
«Verfassungsblog» vehement. Sie weist nach, dass
Assange alle Kriterien der «willkürlichen Haft»
erfülle. Gleichzeitig führt sie unzählige
schwedische, britische und internationale
Staatsrechtler auf, die den schwedischen und
britischen Justizbehörden
«Unverhältnismässigkeit», «Unrechtmässigkeit»
und «Grundrechtsverletzungen» nachweisen.
Doch solange die europäischen und britischen
Medien dies nicht aufnehmen, zeigt sich die
schwedische Staatsanwaltschaft aller Kritik
gegenüber unberührt.
Freitag 12.2.2016
Der Fall Assange weist punkto Berichterstattung und
internationale Rechtslage deshalb beklemmende
Charakteristika auf: Völkerrechtliche und
staatsrechtliche Regelsysteme werden durch die
mediale Berichterstattung ausser Kraft gesetzt. Die
fehlende Unterscheidung zwischen Person und
Rechtsakt führt dazu, dass die Grundsätze «in dubio
pro reo», also im Zweifel für den Angeklagten, und
«unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils»
ausgehebelt werden.
Die Justizbehörden Europas und der Schweiz
schwächeln punkto Staats- und Völkerrecht seit Jahren.
Dies liegt nicht zuletzt daran, dass auch die
internationale Rechtslehre stark vom Privatrecht statt
dem öffentlichen Recht dominiert wird.
Dieser Mix von öffentlicher Meinung, staatlichen
Interessen, die privat durchgesetzt werden,
Umfragedemokratie, publizistisch inszenierte
Expertokratie und Mediendruck zersetzt viele
Prinzipien, die konstitutiv für den Rechtsstaat sind -
dies gilt übrigens auch für das laufende Verfahren der
Schweiz gegen die Fifa.
So dominieren Politik und Medien das Recht, statt dass
das Recht seine Pfeilerfunktion für die demokratische
Gewaltenteilung wahrnehmen kann.
Tweets, Posts, Wähleranteile, Zeitungsberichte setzen
kein Recht. Höchste Zeit, dies sowohl den Medien als
auch den diversen Justizbehörden in Erinnerung zu
rufen. Gleichzeitig gilt: Medienberichte sind nicht als
Werbeplattformen der eigenen Justizbehörde gedacht,
oder?
Veröffentlicht im
schlagende
eilen
© Georg Boscher
© Georg Boscher
@laStaempfli