Regula Stämpfli: Sind Wahlen und
Abstimmungen käuflich?
1982 meinte der Politologe Hans-Peter Hertig, dass
Abstimmungen durchaus käuflich seien. 1994 wurde
dieser Befund von Wolf Linder verworfen. Auch
Hanspeter Kriesi profilierte sich 2009 dadurch, dass
Geld und Politik nicht direkt zusammenhängen
würden.
Für den Klein Report macht sich Dr. Regula
Stämpfli Gedanken zum ungleichen Mitteleinsatz
bei der bevorstehenden Abstimmung über die
Durchsetzungsinitiative.
Hier nun ein neuer Befund: Abstimmungen sind
ebenso wenig käuflich wie Aktienerfolge und
trotzdem hängen beide von Geld ab. Wie an der
Börse entscheiden Erwartungen über Investitionen.
Nicht käuflich ist die Stimmbeteiligung - hier
entscheiden Bildung, Einkommen, Geschlecht,
gesellschaftliche Integration, Medienkonsum und
anderes.
Die Parteien SVP und FDP fuhren bei den Wahlen
2011 grosse Verluste ein. Die Erwartung der SVP
für 2015 führte also zu massiver
Werbegelderhöhung. Aus der Sicht der SVP sollten
wenigstens die Sitze von 2011 gehalten werden. Das
Spiel zahlte sich aus. Die Wahlen waren nicht direkt
gekauft, doch durch diverse Werbekampagnen
gelang es SVP und FDP überproportional stark, sich
in allen Medien (vor allem auch in denen, die diesen
Parteien imagemässig kritisch gegenüberstehen) als
sichere Wahlsieger zu positionieren. Die
Erwartungen wurden wie an der Börse stimuliert.
Die Mittäterschaft der rechten Umfragedemokratur,
vor allem aus der Feder von Michael Hermann, tat
das Ihre, um die investierten Werbegelder von SVP
und FDP bei den Wahlen 2015 auch zum Erfolg zu
führen.
Wie steht es mit der Durchsetzungsinitiative? In
Erwartung eines «Neins» investierten die Initianten
überproportional in die politische Werbung. Dies
garantierte Aufmerksamkeit - sowohl im kritischen
als auch im Lager der Befürworter. Auch hier
funktionierte die Mittäterschaft der Experten. Zum
Auftakt der Abstimmungskampagne verkündete
Michael Hermann via SRF fälschlicherweise:
«Machtkampf zwischen Volk und Parlament», als ob
Donnerstag 18.2.2016
die Durchsetzungsinitiative Stammtisch, Ethik und
Moral statt, wie sie es tatsächlich tut, geltendes
Verfassungsrecht angreift.
Die Durchsetzungsinitiative wies deshalb - bis zur
jüngsten Umfrage - einen konstant höheren Ja-Anteil
auf. Dieser korrespondierte wiederum mit dem Anstieg
der Werbegelder für politische Kampagnen im
normalerweise flauen Werbemonat Januar. Media
Focus veröffentlichte in ihrem Januar-Bericht, dass von
den 780 000 Brutto-Werbefranken gut 66 Prozent von
den Befürwortern der Durchsetzungsinitiative
stammten.
Anders als bei den Wahlen 2015 wurde indessen der
Medientrend zugunsten des Ja-Lagers kurz vor
Urnengang etwas gebremst. Trotz weniger Werbemittel
hat es die Gegnerschaft der Durchsetzungsinitiative mit
vielen kreativen Beiträgen geschafft, auch in den
Medien diskutiert zu werden. Dies war bei den Wahlen
2015 ja nicht der Fall. Es bleibt offen, inwiefern der
(finanzielle) Gegenwind zur Ja-Kampagne sich auch in
der Stimmbeteiligung niederschlägt.
Fazit: Die Wahlen von 2015 waren zwar nicht gekauft,
doch die hohe Investition in die Politwerbung brachte
die mediale Maschine so zum Schmieren, dass bei
jedem Beitrag, kritisch oder nicht, die Aufmerksamkeit
für die SVP und - in geringerem Masse - für die FDP
stieg.
Den Gegnern der Wahlsieger von 2015 gelang es im
Gegenzug nicht nur nicht, ebenso viel Geld zu
investieren, sondern auch die eigene Anhängerschaft zu
mobilisieren. Für die Abstimmungen ergibt die
Erfahrung der Wahlen Folgendes: Abstimmungen und
Wahlen lassen sich bis zu einem gewissen Grad kaufen
(Spieltheorie & Börsenfunktionen), die
Stimmbeteiligung indessen (noch) nicht.
© Georg Boscher
@laStaempfli
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