Swissinfo machte es publik: Seit Anfang Jahr gibt es
massiv mehr Zwangsehen in der Schweiz. Fünfmal
mehr Fälle als in den letzten zehn Jahren wurden
gemeldet. Dass hier eine UN-Menschenrechts-
Charta zum Thema wird, hat mit Kommunikation,
Politik und Medien zu tun.
Dr. Regula Stämpfli kommentiert für den Klein
Report: 10-jährige Mädchen werden verheiratet,
vergewaltigt und als Eigentum eigener oder fremder
Familien verkauft, verschachert, weitergereicht.
Dies nicht in Somalia oder Saudi-Arabien, sondern
in der Schweiz, in Deutschland, in Österreich – kurz
in allen europäischen Ländern.
2016 sind in der Schweiz bereits 26 Fälle gemeldet
worden, während es 2005 bis 2015 nur fünf waren.
Dies liegt laut Anu Sivaganesan, der Präsidentin der
Fachstelle gegen Zwangsheirat, nicht nur an den
vielen Flüchtlingen, sondern auch an der
Sensibilisierung auf das Thema.
Das Thema «Zwangsheirat», deren Bekanntwerden
und hoffentlich deren politische Bekämpfung zeigt
aber, wie in der Gegenwart überhaupt
Menschenrechtsverletzungen geahndet werden
können: Eine gravierende
Menschenrechtsverletzung, die sich gegen Mädchen
und Frauen richtet, findet nämlich ihren Weg nur
dann in die mediale und politische Agenda, wenn
alle Parteien sich des Themas annehmen. Mit
anderen Worten geht es nicht um die
Menschenverletzung, sondern um die
parteipolitische Thematisierung.
Mit der Zunahme der Flüchtlinge werden meist
zunächst von rechter und rechtspopulistischer Seite
Mittwoch 10 08 2016
höchst problematische, sogenannt «kulturelle»
Praktiken (die meist nichts anderes sind als
Menschenrechtsverletzungen gegen Mädchen und
Frauen, die aber gerne hinter der «Kultur» legitimiert
werden) angeprangert. Doch erst wenn die liberalen
und migrationsprogressiven Kräfte sich den
Menschenverletzungen auch annehmen, können diese
geahndet werden.
Brutal gesagt: Die Rechten betreiben Fremdenhass mit
Gleichstellungsforderungen, die aber erst dann
durchgesetzt werden können, wenn linksprogressive
Kräfte auch bereit dazu sind, Gleichstellung auch bei
Migranten und Migrantinnen einzufordern.
Deshalb ist es schockierend, feststellen zu müssen,
dass die Heirat von Minderjährigen inklusive
Vergewaltigung von Minderjährigen durch die
geltenden Gesetze geschützt werden. Denn die im
Ausland geschlossenen Zwangsehen werden in der
Schweiz anerkannt. Dabei machen die Niederlanden
vor, wie man die UN-Menschenrechtscharta auch im
eigenen Land durchsetzt: Ehen von Minderjährigen
werden alle für illegal erklärt – egal, wann, wo und
wie die geschlossen wurden.
@laStaempfli
Regula Stämpfli: Thema Zwangsheirat hat es
schwer auf die mediale und politische Agenda
zu kommen
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