Frauen in den Medien sind immer wieder Thema,
und die Bilanz ist – trotz kilometerlangen Studien-
und Aufschreidebatten – erschütternd retro.
Jüngstes Beispiel? Das grosse Interview der
«Süddeutschen Zeitung» vom vergangenen
Wochenende. Die Talkerin Anne Will wurde von
Evelyn Roll befragt. Teaser zum Gespräch: «Anne,
Du nervst.» Regula Stämpfli erklärt im Klein
Report, weshalb das Interview locker in der Liga
für das beste «Handbuch sexistischer Frauenbilder»
spielen kann.
Helen Mirren meinte einmal, sie lasse sich nur gern
von Männern interviewen, da vor allem britische
Journalistinnen richtig «neidische Zicken» seien,
die wollten, «dass du dich schlecht fühlst: Das
Problem ist, dass mir mein Instinkt erst mal rät,
Frauen mehr zu vertrauen als Männern, ich bin
offener mit ihnen. Aber Frauen sind eben wirklich
gut darin, sich freundlich zu geben. Nachher liest
du dann, was die Frau über dich geschrieben hat,
und du denkst, oh Gott, ich dachte, sie mochte
mich!»
Hillary Clintons Todfeindin Maureen Dowd von
der «New York Times» ist ein Paradebeispiel für
den Frauenhass von einigen Journalistinnen. In den
Medien findet der Verdacht oft Bestätigung, dass
Frauen anderen Frauen den Aufstieg, deren
Vorbildfunktion und Erfolg nie vergeben können.
Dies ist meist der Fall, wenn die Frau völlig anders
ist, als es die Klischees verlangen.
Vielleicht erlebte Anne Will mit Evelyn Roll im
Interview das «Helen-Mirren-Syndrom». Dies ist
nur Spekulation. Gedruckt ist ein Gespräch, das
jede Frau, die in Medien, Politik und Wissenschaft
tätig ist, zum Fremdschämen zwingt. Was hat sich
Anne Will nur dabei gedacht, auf die gestellten
Fragen so zu antworten? Wo war sie bei der
Autorisierung des Gesprächs?
Talking about Desaster - die erste Frage: «Reden
Sie gerne oder hören Sie lieber zu?» Was macht
Anne Will? Sie legt ihren Kopf grad selber auf die
sexistische Guillotine. Ganz dem Klischee
entsprechend, dass Frauen viel reden und Männer
autofahren, erzählt sie auf Kindchenniveau über
ihre Plappersucht: «Ich war dieses Kind, das
unablässig redete.» Die Frage-Einzeiler von Evelyn
Roll wie: «Haben Sie ein Beispiel?», «Was kann
man dagegensetzen?», «Wo genau liegen die?»
oder «Was genau sagt er dann?» verführen die
Talkerin zu ellenlangen Nullsätzen, die alle mit
«Ich glaube...», «Ich finde...» oder «Ich bin
traurig...» beginnen.
Statt über den Zusammenhang von Politik, Talk,
Unterhaltung, digitalen Wandel, der von der
Sprache zur Zahl führt, oder über den wachsenden
Populismus Auskunft zu geben – so wie man es
eigentlich von einer Talkerin der wichtigsten
Politiksendung der ARD erwarten könnte –, erzählt
Anne Will, wie sehr sie auf Mama und Papa hört
Mittwoch 05 10 2016
und während der Sendung vollständig auf ihren
Redaktionsleiter, Andreas Schneider, angewiesen ist.
Auf Rolls hinterhältige Bemerkung «Man glaubt als
Zuschauer richtig sehen zu können, wenn der Mann in
Ihrem Ohr sagt: Du musst jetzt dringend mal wieder
lächeln!» meint Will (statt Roll hier einfach zu
ignorieren): «Ja? Wenn ich sehr konzentriert bin, sehe
ich manchmal fast streng aus. Deswegen haben wir
tatsächlich eine Verabredung: Sag mir Bescheid, wenn
das wieder so ist.» Roll hakt nach: «Was sagt er dann?»
Will: «Guck nicht so streng, sagt er dann», und sie
erzählt, wie peinlich dies dann ist, wenn sie lächelt wie
ein «Honigkuchenpferd», während ein Gast in dem
Moment grad was Ernstes sagt.
Honestly? Wollen, sollen wir dies als intelligente
Zuschauer und Zuschauerinnen wirklich wissen?
Zum Vorwurf, Kanzlerjournalistin zu sein, antwortet
die Startalkerin: «Aber wir haben natürlich kurz
überlegt: Sehe ich jetzt aus wie die
Regierungssprecherin? Die Antwort war: Nein.» Auf
die einzig medienpolitisch relevante Frage von Roll,
«ob die AfD» - gemessen an Wills Anspruch,
holzschnittartige Echokammern zu unterbinden – «bei
Ihnen nicht viel zu viel zu Wort» komme, weiss Will
nichts anderes zu sagen als: «Finde ich nicht.»
Statistiken, Auswahlkriterien, Sendezeiten pro Gast als
Antwort der Moderatorin der wichtigsten Talkshow
Deutschlands? Fehlanzeige. Stattdessen ein
Stammtischgeplänkel, dass man eine Partei, die in
Landesparlamenten sitzt, in denen sie ohne Medien nie
hätte Platz nehmen können, nicht als
«Schmuddelkinder» ausgrenzen dürfe.
Wenn «von Frau zu Frau» in einem politischen
Leitmedium ein Gespräch über Medien, Politik, Macht
und Fernsehen geführt wird und dies das
Durchschnittsniveau einer «Girls Night out» sowohl
auf Fragen- als auch auf Antwortenseite um zahlreiche
Etagen unterschreitet, dann wird manches klar, was in
den westlichen Demokratien und auch in puncto
Gender falsch läuft. Anders, als in der «NZZ» jedoch
kürzlich zu lesen war, trägt die Schuld nicht der
digitale Mob, sondern die journalistische Elite, die sich
Friseursalongespräche und unkritischer
Aufmerksamkeit bedient.
@laStaempfli
Regula Stämpfli: Die Welt nach Roll und Will
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Talking about Desaster (Bild Georg Boscher)