Im Zuge der Finanzkrise wurde die Rolle der
Ratingagenturen heftig kritisiert. Sie hatten 2007
Triple A an Finanzinstitute und -produkte vergeben,
als es längst klar war, dass diese marode bis zum
letzten Cent waren. Für den Klein Report
kommentiert Medienexpertin Dr. Regula Stämpfli
die Demokratie-Ratings jüngeren Datums und die
Rolle, die die SRG dabei spielt.
Ratingagenturen sind gewinnorientierte, private
Unternehmen, die die Kreditwürdigkeit von
Finanzinstituten bewerten. Keine Ratingagentur
konnte für ihre kolossalen Fehlerratings in
Verantwortung gezogen werden, da sie nach US-
Verfassungsgericht blosse «Meinungen» darstellten.
Dass diese «Meinungen» ganze Volkswirtschaften in
den Abgrund stiessen, ist hinlänglich bekannt.
Weniger bekannt ist, dass Demokratie-Ratings
ähnlich korrupt sind. Umfragen sind neoliberale
Herrschaftsinstrumente, die wenig mit Demokratie,
sondern viel mit Inszenierung zu tun haben.
Umfragen können Regierungen, Parteien und
Politiker stürzen, beschädigen oder hoch-«raten».
Umfragen setzen Themen auf die Politikagenda, die
die Demokratie von oben nach unten durchsetzen.
Regierungen, Parteien und Politiker orientieren sich
statt an ihrem Wahlauftrag an ihren
Beliebtheitswerten.
In den postdemokratischen Demoskopie-Ländern
sind nicht die klassischen politischen Leistungen
(zum Beispiel Währungsstabilität, Frieden,
Sicherheit, gute Verteilungsgerechtigkeit,
Umweltschutz) entscheidend, sondern das Image: So
gilt in der Vermessung der Politik beispielsweise ein
Politiker als «liberal», wenn er faktisch ein
menschenverachtender Hardliner ist. Demoskopie-
Demokratien inszenieren eine «Mitte», die keine
politische, sondern eine in der Umfrageanordnung
gemachte Kategorie ist.
Das Image, nicht die Realpolitik macht also
Regierungen, Parteien und Politiker. Dieses Image
wird nun aber nicht durch eine Open-Source-
Plattform bestimmt, bei der potenziell alle
Wählerinnen und Wähler mitmachen können. Nein.
Dieses Image wird von privatwirtschaftlichen und
interessegebundenen Umfrageinstituten erhoben,
womit wir direkt bei der SRG gelandet wären.
Montag 06.06.2016
Die SRG finanziert gewinnorientierte Unternehmen -
GfS und ab 2017 neu auch Sotomo -, um als
öffentlich-rechtliches Unternehmen die
Kreditwürdigkeit von Regierung, Parteien und
Politikern zu bewerten. Sie tut dies aus der
Monopolstellung einer öffentlich-rechtlichen
Institution heraus. Die SRG muss sich die Frage
erlauben lassen, ob sie eigens Agenturen dafür
beauftragen kann, das Image von Regierung, Parteien
und Politikern zu polieren, bewerten, zu erheben und
weiterzuverbreiten oder ob sie es aufgrund ihres
öffentlich-rechtlichen Auftrages nicht dabei belassen
muss, über die unterschiedlichsten Imageforschungen
plural zu berichten.
Es gibt genügend privatwirtschaftliche und
universitäre Institute, die mit vielfältigen Methoden
unterschiedliche Beiträge zur politischen Debatte, zu
Beliebtheitsgraden, zu Politikern, zu Politiken und zu
Themen bereitstellen. Es geht also nicht an, einige
Ratingagenturen (Umfrageinstitute) mit öffentlich-
rechtlichen Geldern zu subventionieren. Vor allem geht
dies nicht, da die privatwirtschaftlichen Institute nicht
unabhängig, sondern gleichermassen von denjenigen
abhängig sind, die sie dann «objektiv» zu «raten»
vorgeben.
Schliesslich darf die SRG für ihre Nachrichten auch
nicht exklusiv zwei Chefredaktoren aus der
Privatwirtschaft einkaufen, die ihr dann die
Nachrichtenberichterstattung herstellen, auswerten und
kommentieren. Wer exklusiv ausgewählten
Ratingagenturen für die Demokratie - und nichts
anderes ist die Umfrage- und Meinungsforschung -
Zutritt zu Steuergeldern verschafft, setzt sich dem
Vorwurf aus, Staatsumfragepropaganda zu betreiben.
Im Rahmen der laufenden Service-public-Debatte sind
diese Fragen matchentscheidend.
@laStaempfli
Veröffentlicht im
Regula Stämpfli:
Ratingagenturen in der Demokratie
© 4YE
Wahl-Rating: Plankton frisst Wal