Heiner Mühlemann hat in der «Neuen Zürcher
Zeitung» vom 5. Juli unter dem Titel «Politschläue»
das Konzept der «asymmetrischen
Demobilisierung» vorgestellt: Themen werden
verschwiegen statt adressiert.
Für den Klein Report kommentiert Dr. Regula
Stämpfli den interessanten Ansatz der
«asymmetrischen Demobilisierung» mit
ergänzenden Überlegungen.
«Nichthandeln ist immer eine Alternative», so
beschreibt Heiner Mühlemann das taktische
Verhalten von Parteien und Regierungschefinnen,
um an der Macht zu bleiben. Taktisch daran ist, dass
die Gegenwähler nicht zur Urne gehen, die eigenen
Wähler und Wählerinnen dafür überproportional.
«Wie erreicht man das? Man erreicht es, indem man
Themen, die für die Gegner Reizthemen sind,
totschweigt», so Mühlemann in der «Neuen Zürcher
Zeitung» vom 5. Juli 2016.
Mühlemanns Beispiel, die «Erhöhung des
Rentenalters», ist aber schlecht gewählt. Denn die
politische Relevanz der wachsenden
«Beschweigung» entscheidender politischer
Aufgaben geht über einzelne Politikdossiers hinaus.
Die «asymmetrische Demobilisierung», das heisst
Schweigen und Nichthandeln, zeigt ihre
verheerende Wirkung besonders in der
Flüchtlingsfrage. Es werden, ausser «Wir schaffen
das», keine politischen Handlungsoptionen
vorgestellt, diskutiert, verabschiedet. Das
Totschweigen, inklusive Nichthandeln, bringt für
die Regierungskoalition scheinbare (mediale) Ruhe,
doch gleichzeitig fördert es den Aufstieg der AfD.
Diese nimmt sich dem Thema in punkto Handeln
auch nicht an, dafür in punkto medialer
Sprechleistungen, die sich entlang folgender Linien
Donnerstag 07.07.2016
entwickeln: Provokation, Trivialisierung, Freund-
Feind-Schemata, Personalisierung. Dies führt
automatisch zur Propaganda der Propaganda. So
werden - wie wir täglich beobachten können - der
demokratische Diskurs und demokratisches Handeln
zersetzt.
Schweigen statt Regierungspolitik führt auch dazu,
dass schon existierende Alternativen im Umgang mit
Flüchtlingen nicht diskutiert werden und nicht auf die
politische Agenda gesetzt werden. Deshalb ist die
«asymmetrische Demobilisierung» nicht nur Taktik,
sondern eine Politikform, welche die Demokratie, die
von einem offenen und vielfältigen Diskurs und
unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten lebt,
untergräbt.
Heiner Mühlemann liegt völlig richtig, die politische
Relevanz der besonders von der Kanzlerin Merkel
praktizierten «Schweigespirale» und das «Nicht-
Handeln» hervorzuheben und trifft mit dem Begriff
«asymmetrische Demobilisierung» einen wichtigen
Punkt. Meine Ergänzung wäre: Schweigen und Nicht-
Handeln bremsen nicht nur die anderen
demokratischen Parteien, nein, sie fördern ganz aktiv
die radikalen Parteien und den Demokratieabbau.
@laStaempfli
Regula Stämpfli:
Wahlerfolg durch Schweigen statt Programm
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