Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» ist nicht für
ihre revolutionären Kritiken bekannt. Doch in
einem bemerkenswerten Artikel zur EU-
Forschungspolitik ist genau das passiert. Die
Politikwissenschaftlerin Dr. Regula Stämpfli geht
für den Klein Report dem Zusammenhang zwischen
«marktkonformer Wissenschaft», Populismus,
Massenverhaftungen von Journalisten und
Wissenschaftlern in der Türkei sowie dem Brexit
nach.
Mit «Wozu muss man Platon lesen?» rechtfertigte
der Populist Silvio Berlusconi die Kürzung des
italienischen Bildungsetats um 17 Prozent. Dies
dachte sich wohl auch die EU. Bis 2014 waren
Geistes- und Sozialwissenschaften noch in den
milliardenschweren Forschungsprogrammen,
seitdem sind sie rausgeschmissen worden. «Adieu
Shakespeare, hello Brexit» ist das Motto. In
Grossbritannien ist schon längst Usus, nur
Forschungsprogramme zu finanzieren, die einen
«volkswirtschaftlichen» Nutzen haben. Wie man
sieht, bereichern solch marktkonforme
Wissenschaften die politische Debatte enorm…
Wenn Menschen nur noch das wissen dürfen, was
sie sollen, sind sie perfektes Wahl-Korruptions- und
Populismusmaterial. Kurz: Mit der Aufklärung ist
erst mal Schluss in Brüssel.
Dabei hat sich gerade am Beispiel der Türkei
gezeigt, dass offene Forschung und Wissenschaft
sowie kritischer Journalismus konstitutiv für eine
Demokratie sind. Wenn es sie nicht mehr gibt,
winkt die Diktatur. Deshalb war es von Recep
Tayyip Erdogan folgerichtig, in seiner ersten
Amtshandlung nach der Machtergreifung
JournalistInnen und WissenschaftlerInnen zu
verhaften. Denn nur sie erzählen wieder und wieder,
dass das Volk keine homogene Grösse ist, sondern
aus vielen besteht.
Dienstag 30 08 2016
Wer die Geistes- und Sozialwissenschaften abschafft,
macht es Populisten leicht: Klickraten statt Debatten
dominieren den Diskurs, und alle werden in den
Beobachterstatus geworfen. Es gibt keinen Rechtsstaat
mehr, da nicht zuletzt auch die Rechtshistoriker fehlen,
die noch wissen, weshalb es überhaupt Verfassungen
gibt.
Brüssel tritt mit «Horizon 2020» in Erdogans
Fussstapfen: Technik, Zahlen, Rechnungen sollen
darüber hinwegtäuschen, dass wir schon längst nicht
nur in «marktgerechten» Demokratien, sondern in
«marktgerechten» Wissenschaften leben, die keine
mehr sind. Auf die Lügenpresse folgt die
Lügenwissenschaft.
Heike Schmoll bringt es im FAZ-Artikel auf den
Punkt: «Gerade weil die Populisten und Vereinfacher
auf dem Vormarsch sind, können Wissenschaftler nicht
so tun, als gehe sie dies nichts an. Sie können das
energische Eintreten für die Wahrung einer
pluralistischen Wissenschaft in einer offenen
Gesellschaft nicht den Wissenschaftsmanagern
überlassen.»
@laStaempfli
Regula Stämpfli: Nach der Lügenpresse
nun die Lügenwissenschaft
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Adieu Shakespeare, hello Populismus