Unternehmen, Parteien und andere Inserenten
suchen seit Jahrzehnten ein ihrer Werbung
«angemessenes» Umfeld. Für Verleger und
Chefredaktoren bedeutet dies: Wes Inserat ich
brauch, des Lied ich sing. Für den Klein Report
kommentiert Medienexpertin Dr. Regula Stämpfli.
Im September 1979 schaffte es die Geschichte des
Anzeigenboykotts der Schweizer Autoimporteure
sogar in den «Spiegel». Der «Tages Anzeiger» hatte
damals recherchiert, dass die Autolobby die
Einführung schärferer Abgasbestimmungen
verhindert, die Abstimmung zu den autofreien
Sonntagen manipuliert und jede Mitsprache der
Bevölkerung beim Autobahnbau blockiert habe.
Der «Tages Anzeiger» musste jeden Monat einen
Ausfall an Anzeigen von einer halben Million
Franken in Kauf nehmen.
Interessanterweise verbot – laut damaligen
Spiegelbericht – das schweizerische Zivilrecht den
Boykott der Automobilhersteller, da sie «als
organisierte Unternehmer die Zeitung zu einem
bestimmten Tun zwingen oder sie massregeln
wollen». Die Kartellkommission leitete überdies
eine Abklärung ein, um zu überprüfen, ob die
Autohändler konzentriert agiert hätten. Schon ein
«stillschweigend aufeinander abgestimmter»
Anzeigenrückzug hätte damals genügt, um die
Kartellbestimmungen zu verletzen.
Das waren noch Zeiten. Ich erinnere mich an eine
harmlose Sexismuskritik an einem Schaufenster
eines grossen Kaufhauses 2011. Nach der
Publikation eines Interviews wurde das mehrstellige
Inseratenvolumen des Kaufhauses in der Zeitung
sofort gekündigt und der betreffende Redaktor
verwarnt. Es gab keine Untersuchung, nichts, die
Sache wurde so schnell wie möglich unter den Tisch
gekehrt.
Die Beziehung Geldgeber und Publikation war also
in den vergangen Jahrzehnten äusserst eng. Bis
Google, Facebook, Twitter und Instagram die
Medienrevolution einläuteten. Denn in diesen
Medien entscheiden nicht die Inhalte über das
«angemessene» Umfeld, sondern die
Donnerstag 21.4.2016
Aufmerksamkeit. Dies beschert der Berichterstattung
zwar eine Kardashian, aber öffnet auch Plattformen für
kritische Bloggerinnen, investigative
Onlinekommentatorinnen und sonstige Netz-
Alphatierchen, die noch vor Jahren totgeschwiegen
worden wären.
Tja. Algorithmen können eben auch Transparenz
schaffen und demokratisieren. Deshalb braucht es
keine neue Form der Bezahlung von
«Qualitätsmedien», wie sie dies nun von
Medienexperten und kritischen Journalisten teilweise
gefordert wird, sondern eine Zukunft, die den Zutritt
und die Verbreitung der Algorithmen allen ermöglicht.
Schliesslich sind wir noch nicht in China. Dort spielt
das «werbewirksame Umfeld» zwar auch keine Rolle
mehr, dafür aber die Datenzensur. Die Panama-Papers,
die die Machenschaften der chinesischen Elite
dokumentierten, konnten beispielsweise auf dem
grössten chinesischen Server «Wechat» nicht
runtergeladen werden. Angedrohte Inseratenboykotte
sind zwar tatsächlich wieder Thema und sollten
diskutiert werden, doch ebenso entscheidend ist der
offene Zugang zu Daten und die Unabhängigkeit von
Daten.
Und nochmals: Die Tatsache tröstet, dass clickbaits für
die Werbung viel wichtiger sind als die Inhalte. So
absurd dies vielleicht klingt.
@laStaempfli
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Regula Stämpfli: Wes Inserat ich brauch,
des Lied ich sing